Frage:
was ist Glaube?
Elisa W
2006-10-07 13:01:38 UTC
was ist Glaube?
26 antworten:
2006-10-10 22:19:47 UTC
Glaube und Wissen

Ein Vortrag für solche, die dem Christentum entwachsen sind und trotzdem weiter nach seiner Wahrheit suchen



von Gerd Lüdemann1



I

Wissen ist in der Alltagssprache ein ziemlich eindeutiges Wort, Glauben dagegen nicht. Wissen zielt auf Überprüfbarkeit, Allgemeingültigkeit, Rationalität und Objektivität. Griechische Philosophen waren die ersten, die wirkliches Wissen von bloßer Meinung oder nur Glauben unterschieden. Glauben ist nämlich vieldeutig. Glauben kann etwa als bloße Meinung rein negativ verstanden werden. "Ich glaube" heißt dann so viel wie: "Ich weiß nicht genau". Ferner zeigt sich die Vieldeutigkeit des Begriffs Glauben dort, wo jemand einem anderen seinen Glauben lassen will, d.h. darauf verzichtet, ihn in einem konkreten Fall von dem an sich richtigen Gegenteil zu überzeugen. Hier hat Glauben den Beiklang von Illusion. Ähnliches kommt dort zum Ausdruck, wo jemand bedauert, er könne im Gegensatz zu einem anderen nicht mehr glauben. Hier ist Glaube etwas, das dem Sprecher nicht mehr zugänglich ist, offenbar weil die Realität ihm diesen Weg versperrt.



Die Relativierung der Gültigkeit des Glaubens in der Neuzeit ist eng mit der Abkehr der Wissenschaften von der Kirchenlehre verbunden. Wissen war fortan - wenigstens von seinem Anspruch her - rational begründet; Glauben wurde mit Irrationalität zusammen gesehen. Den irrationalen Beigeschmack des Glaubens gab der Massenpsychologe Gustav Le Bon vor einem Jahrhundert folgendermaßen wieder:



"Die religiösen Führer konnten in den Seelen jene furchtbare Macht erzeugen, die Glaube heißt und den Menschen zum völligen Sklaven seines Traumes machte." 2 Die Frage stellt sich hier allerdings, ob nicht in der Fähigkeit zum Glauben ein enormes, gegebenenfalls auch positiv zu wertendes Potential steckt und ob nicht zuweilen Wissen in sein gerades Gegenteil umschlagen kann. Das geschieht regelmäßig dort, wo es seine eigenen Möglichkeiten überschätzt und ideologische, nicht mehr hinterfragbare Züge annimmt. Doch habe ich mit diesen Überlegungen schon vorgegriffen. Ich komme später darauf zurück.



II

Wenden wir uns zunächst wieder dem Glauben und seiner christlichen Interpretation zu. In den christlichen Gemeinschaften wird Glaube zumeist mit weiteren Bestimmungen verbunden. Hier ist das Objekt des Glaubens entscheidend: Vater, Sohn, Heiliger Geist, denn der Inhalt des Glaubens macht den Unterschied aus gegenüber rivalisierenden Bestimmungen. Innerchristliche Unterschiede werden dann durch weitere Glaubensobjekte wie Jungfrauengeburt, Auferstehung, Kirche usw. markiert.



Ein solches Verständnis von Glauben zieht sich durch die Kirchengeschichte der letzten 1700 Jahre hindurch. Es wird abgesichert durch zweierlei: erstens durch die Sammlung heiliger Schriften des Alten und des Neuen Testaments, in denen die Stimme Gottes durch den Mund auserwählter Menschen an die einzelnen Gemeinden in Vergangenheit und Gegenwart ergehen soll, und zweitens durch ein bestimmtes Geschichtsbild, das den Ursprüngen des christlichen Glaubens eine besondere Bedeutung beimisst. Wir können es kurz so wiedergeben: Jesus, der sündlose Gottessohn, offenbart seinen Aposteln die reine Lehre und stirbt für die Sünden der Welt. Er wird am dritten Tage von den Toten erweckt, befestigt seine Kirche, die ein Herz und eine Seele ist, und beauftragt die Apostel, die frohe Botschaft allen Menschen zu verkündigen. Der Teufel, der in der Folgezeit Ketzer in die Welt schickt, um die rechtgläubigen Christen zu bekämpfen, kann den Lauf des Evangeliums nicht aufhalten.



Beides, die Auffassung von der Bibel als Gotteswort und die Idee der Jungfräulichkeit der frühen Kirche, ist bis in das 17. Jahrhundert unhinterfragbarer Ausgangspunkt des christlichen Dogmas geblieben. Dies änderte sich erst, als die Revolution des naturwissenschaftlichen Weltbildes und das Aufkommen der historisch-kritischenMethode zu einem großen Dammbruch führten. Die historisch-kritische Methode beraubte die Bibel ihrer Göttlichkeit und das Urchristentum seiner Unschuld. Ja, sie führte zu einer völlig neuen Sicht auch derjenigen Welt, in der das frühe Christentum entstanden war. Alles geriet durcheinander: Die Verfasserangaben der meisten biblischen Schriften wurden widerlegt; man erkannte, dass die Bibel eine Schriftensammlung der siegreichen christlichen Partei im 2. Jahrhundert war; und das Bild der Urkirche als einer Jungfrau erwies sich als frommer Wunsch einer christlichen Gruppierung, die ihre eigene Sicht über wahre und falsche Lehre in die früheste Zeit zurückverlegte.



Die historisch-kritische Schriftforschung beschwor somit eine Krise herauf, die bis heute den Bibelausleger begleitet. War für den Reformator Martin Luther der Wortsinn der Schriften noch gleich mit ihrem historischen Gehalt, so rückte infolge der historisch-kritischen Methode beides auseinander: Das Bild der verschiedenen neutestamentlichen Verfasser von Jesus konnte hinfort nicht mehr als identisch mit dem tatsächlichen Hergang der Ereignisse gelten. Für den historischen Kritiker ist der geschichtliche Abstand jeder heute möglichen Theologie vom urchristlichen Zeitalter unübersehbar und zur Quelle des bis heute tobenden theologischen Kampfes geworden. Anders gesagt: Die Kluft zwischen historischem Faktum und seiner Bedeutung, zwischen Historie und Verkündigung, zwischen Geschichte Jesu und dem widersprüchlichen Bild von seiner Geschichte im Neuen Testament macht es unmöglich, die Bibel als Anrede an moderne Menschen anzusehen. Zudem ist der moderne Historiker der Bibel mit Recht davon überzeugt, dass er viele Dinge besser weiß als die Verfasser der von ihm untersuchten Quellen. Das gilt nicht nur für alle das antike Weltbild betreffenden Fragen, sondern erstreckt sich auf zahlreiche den harten Glaubenskern treffende Punkte. Z.B. wurde Maria mit Sicherheit von einem Mann geschwängert. Denn die jungfräuliche Geburt ist dadurch als Deutung erkannt, dass nicht wenige große Männer der Antike, wie etwa Kaiser Augustus oder Alexander der Grosse, auch von einer Jungfrau geboren sein sollen. Außerdem kennen die ältesten Quellen im frühen Christentum, die Paulusbriefe und das Markusevangelium, die Jungfrauengeburt gar nicht, so dass auch von hierher die Geburt aus der Jungfrau historisch als unzutreffend erwiesen wird. Den geschichtlichen Gegebenheiten, unter denen sich die Wende zur Neuzeit vollzog, entspricht es, dass insbesondere Theologie und Kirche von dem Erwachen des historischen Bewusstsein getroffen wurden. Alsbald wurde der Kampf im Bereich der Schriftauslegung am heftigsten geführt. Die römisch-katholische Kirche schottete sich von dem Strudel der historischen Erforschung der Bibel von Anfang an ab: Der Papst stellte in zahlreichen Verlautbarungen amtlich in Abrede, dass es irgendeinen Widerspruch zwischen dem christlichen Glauben und der Geschichte geben könne. Abweichler hatten hier keine Möglichkeit, Gehör zu finden oder gar Einfluss auszuüben. So war die historische Erforschung der Bibel bis zum Anfang unseres Jahrhunderts hinein allein im evangelischen Bereich möglich. Doch wurde sie auch hier regelmäßig Zielscheibe der Kritik, bis sie endlich wieder ein Zuhause im Raum der Kirche und sich dem Glauben unterordnete. 3



Man sollte meinen, dass Kirche und Theologie angesichts der Springflut des säkularen historischen Bewusstseins längst aus der modernen Gesellschaft verschwunden oder zu Randgruppen geworden wären. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ironie der Geschichte wollte es, dass beide Kirchen und die ihnen zugeordnete akademisch-kirchliche Theologie äußerlich unbeschädigt aus der Infragestellung durch die historische Kritik hervorgegangen sind. Sie haben in Deutschland einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Staat und Gesellschaft und sind finanziell besser ausgestattet als je zuvor. Dies, obgleich sowohl unter Geistlichen als auch unter Kirchenmitgliedern eine schleichende Abkehr von traditionellen Inhalten des christlichen Glaubens zu beobachten ist.



Wie steht es aber wirklich mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen im Lichte des allgemein anerkannten Tatsachenwissens zum frühen Christentum und zur Bibel? Wir erinnern uns: Der Glaube an die Jungfrauengeburt musste sich dem Wissen stellen, dass sie eine spätere Interpretation und kein historisches Faktum ist. Hinzu kommen weitere historische Ergebnisse, die den Glauben zu relativieren scheinen: Die meisten der für Jesus bezeugten Worte und Taten, wie sie in den Evangelien des Neuen Testaments beschrieben werden, gehen erst auf spätere Interpreten der Person Jesu zurück. Das geschah erstens im Rahmen der Auseinandersetzungen innerhalb der frühchristlichen Gemeinde. Man borgte sich die Autorität Jesu, um konkurrierende Mitchristen zum Schweigen zu bringen. Ein Beispiel ist das unechte Jesuswort Lk 16,17: "Es ist leichter, dass Himmel und Erde vergehen, als dass ein Häkchen vom Gesetz fällt."



Das Wort entstammt einer Gemeindesituation, in der ein Kampf zwischen liberalen und konservativen Christen entbrannt war. Die liberalen Christen sind wahrscheinlich Mitglieder von Gemeinden, denen auch der Apostel Paulus zuzuordnen ist. Er wurde von konservativen Christen des Abfalls vom Gesetz beschuldigt. Sie verbreiteten über ihn das Gerücht, er lehre alle Juden in der Diaspora, ihre Söhne nicht mehr zu beschneiden (vgl. Apg 21,21). Diese Christen gehörten der Gemeinde aus Jerusalem an, die unter der Führung des Jakobus, eines Bruders Jesu, zunehmend eine restaurative Haltung zum Gesetz einnahm. In diesen konservativen Kreisen dürfte Jesus ein so rigoroses Wort wie Lk 16,17 zugeschrieben worden sein: "Es ist leichter, dass Himmel und Erde vergehen, als dass ein Häkchen vom Gesetz fällt." Um die eigene Position im Kampf gegen andere Christen zu verteidigen, legte man Jesus dieses Wort einfach in den Mund.



Zweitens wurden Jesusworte aber auch im Kampf gegen ungläubige Juden erfunden. So schrieb der Evangelist Matthäus Jesus folgende Sätze zu: "(34) Siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; und von ihnen werdet ihr einige töten und kreuzigen, und einige werdet ihr geißeln in euren Synagogen und werdet sie verfolgen von einer Stadt zur anderen, (35) damit über euch komme all das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden ... (36) Wahrlich, ich sage euch: Das alles wird über dieses Geschlecht kommen. (37) Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus soll euch wüst gelassen werden" (Mt 23,34-38).



Die christlichen Propheten, Weisen und Schriftgelehrten in V. 34 zielen auf die Gegenwart des Matthäus. Sie werden das Schicksal der Tötung, Kreuzigung und Geißelung erleiden, und zwar durch die von Jesus der Heuchelei bezichtigten Pharisäer und Schriftgelehrten. Dabei denkt Matthäus an ein Gericht über ganz Israel. Die Klage über Jerusalem setzt die Strafe der Verwüstung Jerusalems im Jüdischen Krieg voraus, der erst 40 Jahre nach Jesu Tod stattfand. Denn die Verwüstung der Stadt wird hier nicht in Aussicht gestellt, sondern gilt als bereits geschehen: Die Stadt soll wüst (= in Trümmern) liegen bleiben.



Drittens wurden Jesusworte fingiert, um die besondere Würde des Gottessohnes auszudrücken. So entstammen zwei Worte, die Jesus am Kreuz gesprochen haben soll, der erbaulichen Lektüre der alttestamentlichen Psalmen. Der bekannte Verzweiflungsruf "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" aus Mk 15,34 ist ein Zitat aus Psalm 22,2. Und die versöhnliche Anrede "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist" in Lk 23,46 entspricht wörtlich Psalm 31,6.



Hiermit noch nicht genug: Die Auffassung der neutestamentlichen Verfasser, Jesus selbst habe sein Leiden und seine Auferstehung vorhergesagt, ist durch historische Rekonstruktion ein für allemal widerlegt. Es handelt sich bei den diesbezüglichen Voraussagen ebenfalls um nachträgliche Rückdatierungen aus der Sicht des Glaubens. Und um das Mass voll zu machen: Die Auferstehung Jesu fand so, wie sie in den neutestamentlichen Evangelien beschrieben bzw. vorausgesetzt wird, mit Sicherheit nicht statt. Die diesbezüglichen Texte vom leeren Grab stammen erst aus dem zweiten Stadium des Auferstehungsglaubens, als es darum ging, die Auferstehung Jesu von den Toten dingfest zu machen und den nachfragenden Juden auch aus den eigenen Reihen ein leeres Grab vorzuführen. Aber auch hierfür fanden die Christen wiederum einen Beleg aus den alttestamentlichen Psalmen. In Psalm 16 soll David alias Jesus prophezeit haben, Gott werde den Gottessohn nicht der Verwesung anheim fallen lassen. Also steigerte der Evangelist Lukas die Bedeutsamkeit Jesu dadurch, dass er diesen Psalm in Geschichte übersetzte und Jesus unverweslich werden ließ. Das Grab musste leer gewesen sein.



Weitere Fakten kommen hinzu und stören das scheinbar harmonische Verhältnis von Glauben und Wissen empfindlich: Auch andere Weissagungen aus dem Alten Testament, die traditionell auf Jesus bezogen werden, haben mit diesem nichts zu tun. So sind sämtliche Voraussagen, die alljährlich im Weihnachts- und Karfreitagsgottesdienst erklingen, erst nachträglich mit Jesus in Verbindung gebracht worden. Weder hatte der Prophet Jesaja im achten vorchristlichen Jahrhundert Jesus im Sinn, als er dem König Ahas die Geburt eines Sohnes voraussagte (vgl. Jes 7,14), noch sind die alttestamentlichen Gottesknechtslieder Weissagungen über den gekreuzigten Gottessohn. Mit anderen Worten, die so eindringlichen Sätze: "Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der von Gott geschlagen und gemartert wäre ..." (Jes 53,4) - diese Sätze haben mit Jesus nicht das Geringste zu tun, sondern beziehen sich auf jemand anderen, vielleicht sogar auf das Schicksal des Volkes Israel ein halbes Jahrtausend vorher.



Ich könnte hier die durch die historische Kritik unwiderleglich und ein für allemal herausgearbeiteten Widersprüche zwischen dem christlichen Glauben und dem tatsächlichen geschichtlichem Hergang noch lange fortsetzen. Die Schlacht ist aber inzwischen zu Ungunsten des Glaubens entschieden. Zwischen dogmatischer Sicht und historischer Rekonstruktion klafft ein Widerspruch, den kein Interpretationsversuch der Welt rückgängig machen kann.



Doch haben moderne Theologen den Widerspruch zwischen Glauben und Wissen aufzulösen versucht. Sie wenden sich beispielsweise sogar entschieden gegen die Annahme, dass die Auferstehung Jesu eine geschichtliche Tatsache bzw. überhaupt ein Vorgang in Raum und Zeit sei. Sie sagen vielmehr: Sachlich bedeutsam an der Rede von der Auferstehung Jesu sei nur, dass der Gekreuzigte nicht vernichtet ist. Denn der Auferstandene sei der Gekreuzigte und nur als solcher für uns heute zu sehen. Doch scheint mir eine solche inhaltliche Bestimmung von Auferstehung sinnlos, da sie mit dem Wort "Auferstehung" und der in den biblischen Texten gemeinten Sache schlechterdings nichts mehr zu tun hat . Unter dieses zugegebenermaßen harte Verdikt fällt auch das Programm Rudolf Bultmanns, die Botschaft des Neuen Testaments zu "entmythologisieren". Bultmann wollte den Kern des christlichen Glaubens durch eine Interpretation bewahren, die sich mit dem heutigen Weltbild vereinbaren lässt. Jedoch ist der zur Rettung der Auferstehung herangezogene Gedanke, Jesus sei "in die Verkündigung auferstanden", eine so vollständige Entleerung der in der Bibel vorausgesetzten Sache der körperlichen Auferstehung Jesu, dass er mit keiner historischen Tatsache mehr zusammenprallen kann. Er bleibt, ohne dass ihm eine Spur von historischem Gehalt anhaftet, nur als Worthülse zurück.



Wir sagten, der Kampf um den christlichen Glauben sei durch das Aufkommen der historisch-kritischen Methode auf den Boden der Geschichtsforschung gestellt worden. Das letzte Wort über den Glauben musste also von der Geschichte und dem Wissen über sie gesprochen werden. Dann aber wurde die Entdeckung peinlich, dass sich die Verfälschung und Übermalung des Juden Jesus gegen seine eigenen Landsleute im Neuen Testament bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet und dass die Schriften des Alten Testaments gegen ihren eigenen Wortsinn auf Jesus bezogen wurden.



Was aber ist gegenüber dem Versuch zu sagen, den christlichen Glauben unter Rückgang auf Jesus zu retten und Jesus etwa als Zeugen des Glaubens zu verstehen? Kann man so nicht guten Gewissens alles Sekundäre streichen, die Auferstehung als reine Interpretation auffassen und somit zu Jesus als dem ersten Christen in eine Beziehung treten? Die Antwort auf diese Frage muss ein entschiedenes "Nein" sein. Denn diesem Versuch gegenüber ist an das sicher verfügbare Wissen zu erinnern, dass Jesus der Religion des Judentums angehörte. Von hier zur christlichen Religion ist es ein weiter Weg. Die Entwicklung des christlichen Dogmas geschah nämlich auf Kosten Israels, gegen die Intention Jesu, der eine Kirche gar nicht erwartet hatte. Man kann Jesus daher nicht mit gutem historischen Gewissen für die christliche Religion in Beschlag nehmen. Jesus gehört Israel an.4



Angesichts dieses sicheren Befundes passt auf die weitere Verteidigung des christlichen Dogmas durch heutige Theologen wohl nur der Vorwurf "Betrug", wie ihn bereits jüdische Zeitgenossen im ersten Jahrhundert geäußert haben (vgl. Mt 27,64; 28,15).5 Denn christliche Dogmatiker führen wiederum wider besseres Wissen eine Sicht Jesu ein, die mit Jesus, wie er wirklich war, nichts zu tun hat. Erinnert sei, neben dem bereits Gesagten, an die schlichte Tatsache, dass Jesus Mensch und nichts als Mensch war. Er hat sich durch seine Taufe zur Vergebung der Sünden ganz auf die Seite der sündigen Menschheit gestellt, so dass seine Erhöhung zum Weltenherrn und zum sündlosen Gottessohn nur als merkwürdiges Schauspiel anzusehen ist. Dieses Schauspiel, so sehr seine Glaubensnotwendigkeit betont werden mag, ist im Lichte des historischen Wissens ein für allemal unmöglich geworden.



III

Nun kennt das Wissen selbst seine Grenzen. Es kann z.B. im historischen Bereich immer nur Wahrscheinlichkeitsurteile fällen, und die von ihm angewandte Methode trägt das Mittel in sich, das Wissen immer wieder zu überholen und völlig umzustülpen. Echte Wissenschaft korrigiert sich unaufhörlich selbst. Gleichzeitig steht fest, dass der Mensch kein rein rationales Wesen ist, sondern andere Schichten besitzt, die sich beispielsweise in Kunst und Poesie widerspiegeln. Zu diesem Bereich der Person gehört aber auch die menschliche Fähigkeit und Kraft zum Glauben. Nur wenige Menschen sind imstande, diesen Teil ihrer Person durch Wissen oder Rationalität auch nur ansatzweise in den Griff zu bekommen. Dann aber verlangt das Wissen, die Rationalität selbst, nach einer Kraft, die diese irrationale Seite des Menschen bezeichnet. Ich nenne sie Glauben. Dieser Glaube kann freilich nie wieder Glaube an die Auferstehung oder an die Jungfrauengeburt oder gar an Gott oder an sonst etwas werden. Er ruht, vorläufig gesagt, in sich selbst und weiß sich von etwas getragen.



Eine Entsprechung findet sich vielleicht im Alten Testament, wo ebenfalls Glaube ohne Objekt gebraucht werden kann. Dort ist der absolut gebrauchte Begriff Glaube sprachlich verwandt mit den Begriffen Treue und Festigkeit.6 Zu diesem sprachlichen Konzept gehört z.B. auch die Verwendung des Wortstamms aemet, um Gottes Treue auszusagen. "Amen" heißt dann so viel wie: Es hält, es gilt und darum ist es wahr, es geschieht, es wird Wirklichkeit. Wir begegnen dem absoluten Gebrauch von "glauben" im Alten Testament an einer Stelle des Jesajabuches, wo der Prophet Jesaja den König Ahas zum Stillehalten angesichts einer politischen Bedrohung rät. Er sagt zu ihm: "Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht" (Jes 7,9).



Die Prägnanz dieses Satzes beruht darauf, dass sich im Hebräischen "glauben" und "bleiben" aus derselben sprachlichen Wurzel herleiten. In dieser absoluten Verwendung kann man einen besonders radikalen Ausdruck des alttestamentlichen Glaubensverständnisses sehen. Dass nicht hinzugefügt wird, an wen dieser Glaubende geglaubt hat, hat einen Grund, denn dessen Addition würde dem Glauben seinen eigentlichen Charakter nehmen oder doch abschwächen. Hier bei Jesaja hat der Glaube es zu tun mit dem, was dem Leben Bestand gibt. Wir befinden uns im Bereich des Seins oder Nichtseins. Im Glauben widerfährt dem Leben sein Gegründetsein. Glaube und Sein sind für Jesaja fast gleich, denn "Bestand haben" ist im Sinne des menschlichen Lebens nicht etwa als Lohn für den Glauben gedacht, sondern damit ist die Identität von Glauben und Bestand ausgesprochen. Die zwei verschiedenen Bedeutungen des Verbs im Wort Jesaja 7,9 gehen auf die eine, auf die ursprüngliche zurück: "standhalten" .



An dieser Stelle sei betont, dass der Prophet Jesaja selbst mit seinem Wort "Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht" in erster Linie ein politisches Ziel verfolgte. Er wollte nämlich König Ahas von seinem Plan abbringen, sich freiwillig dem assyrischen Großreich zu unterwerfen, um so der Bedrohung durch die Könige von Damaskus und Israel zu entgehen. Ahas sollte vielmehr im Vertrauen auf Gottes Hilfe ruhig bleiben. Insofern dürfte Jesaja gegenüber dem gerade von mir entwickelten Verständnis von Glauben ziemlich entgeistert reagiert haben, da für ihn der Gott Israels ein sich in der Geschichte offenbarender Gott war. Doch setze ich voraus, dass jede sich an die Geschichte klammernde Theologie gescheitert und dass - damit zusammenhängend - jegliches direkte Reden von Gott fraglich geworden ist. Menschen produzieren menschliche Bilder von Gott. Könnten Ochsen ein Bild malen, so würde ihr Gott wie ein Ochse aussehen - so der griechische Philosoph Xenophanes im sechsten Jahrhundert v.Chr. All das schließt aber nicht aus, die Rede vom Glauben im Alten Testament und in anderen Schriften aus der Antike, soweit sie die menschliche Ebene betreffen, für die heutige Zeit zu nutzen.



In der auf den Menschen bezogenen Rede vom Glauben im Alten Testament deutet sich nämlich eine heute mögliche Glaubensweise an, die ein tragbares Verhältnis von heutigem Wissen und Glauben anbahnen kann. Im Untergrund des frühen Christentums, wie er sich in zahlreichen neugefundenen gnostischen Texten dokumentiert, vollzog sich nämlich bereits eine Wendung weg von dem dogmatischen Glaubensverständnis hin zu einem Glauben, der an Bestand und an Tiefe orientiert ist. Einige Mitglieder dieser ketzerischen christlichen Gruppen nannten sich "Angehörige des nicht wankenden Geschlechts".7



Ihr Glaube und der Glaube der meisten Gnostiker, der mit Erkenntnis gleichgesetzt werden kann, ist, modern verstanden, der Wille unbekannten zur totalen Lebensvollendung angesichts des Schreckens der Schöpfung und des Absurden, das zu jeder Stunde den Erdenball durchzittert. In derselben rätselhaften Weise, wie im Laufe der Evolution das Leben auf dieser Erde gegeben wurde, drängt es nämlich auch nach der eigenen Erweiterung bis hin zum kosmischen Bewusstsein. Das so neu bestimmte Glaubensleben strebt nach Ausdehnung in eine unbekannte Richtung aus unbekannten Ursachen, schlicht aus der Tatsache seines Gegebenseins. Dieser Glaube bietet einen Weg, dass wir nämlich von dem festen Grund unseres im Glauben gewonnenen Selbst uns eintauchen lassen in den Strudel des Lebens. Glaube wird zur Macht , ja ist geradezu Anteilhabe an der Allmacht des Kosmos. Eine solche Formulierung mag Schrecken auslösen. Zugleich tut sich durch ihn hindurch ein Weg auf, das täglich neu hinzugewonnene Wissen mit dem vom Menschen her verstandenen Glauben in eine verträgliche Beziehung zu setzen.



IV

Ich blicke noch einmal zurück: Wir begannen mit einem Überblick über die umgangssprachliche Bedeutung von Glauben und Wissen und zeigten auf, wie stark der vorwiegend negativ besetzte Sinn von Glauben verursacht ist durch die Emanzipation der Wissenschaft von den Kirchenlehren. Anschließend wurde aufgewiesen, wie durchgreifend der christliche Glaube als ein Glaube an bestimmte Inhalte wie "Auferstehung", "Jungfrauengeburt" und "Kirche" historisch endgültig widerlegt war. Am Schluss bemühten wir uns um eine tragfähige Verhältnisbestimmung von Wissen und Glauben. Sie wird dann möglich, wenn der dogmatische Glaubensinhalt restlos aufgegeben und ein ausschließlich menschlich begründetes Glaubensverständnis gesucht und gefunden wird. Der so verstandene Glaube ist dann ein Teil des Menschen, dessen Drang nach Wissen sein Schicksal bleibt, dem aber täglich sein Gegründetsein im Kosmos widerfährt. Ob seine Träger jemals wieder ein christliches Haus bauen werden, ist eine Frage für die Zukunft.





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Last updated on October 3, 2006
2016-12-16 08:53:15 UTC
Natürlich! Aber wenn es doch nur Rechthaberei wäre - oft artet Glaube in Mord und Totschlag aus, wenn Eiferer und Fanatiker im Spiel sind! Leider fällt den in YC vertretenen Gläubigen nichts mehr produktives ein und sie reagieren nur noch unflätig und destruktiv. Dazu kommt noch der fehlende Humor und die zwanghafte Verbissenheit, mit der der Gläubige sich an seine "Wahrheit" klammert. Und Zuhören haben Gläubige schon lange aufgegeben, denn dann müssten sie ja mal über ihre absonderlichen Glaubensinhalte nachdenken und sich unangenehme Fragen stellen. Ich kann nur immer wieder sagen: faith ist present für den Menschen!
Dadus
2006-10-11 09:16:22 UTC
glaube=nichtwissen. also auf aussagen vertrauen die man (vielleicht nur für kurze zeit) nicht bestätigen und kontrollieren kann.



bei "Fightclub" gibt es einen guten spruch zu dem thema:

"Unsere Väter waren unser Bild von Gott. Unsere Väter haben sich verpisst. Was sagt dir das über Gott?"
wandermönch
2006-10-10 14:49:53 UTC
" Harry , hol schon mal das



GLAUBErsalz .... ! "
2006-10-10 03:15:06 UTC
Wenn ich etwas sehe was nicht da ist.

Das ist Glaube.
angelikabertrand64
2006-10-09 19:25:04 UTC
kuck hier mal nach.



http://de.wikipedia.org/wiki/Glaube
2006-10-09 07:48:14 UTC
Gehe in eine Kirche und Frage den Pfarrer, er müsste dir darauf eine Antwort geben können.

Ich sage lieber nichts zu diesem Thema !
chr_biri
2006-10-08 14:43:56 UTC
glaube, ist wenn man nicht weiss, aber sich trotzdem fühlt als würde man wissen. es gibt halt und vllt auch hoffnung, aber denke daran es ist kein fakt.



ps: glaube nicht an gott
2006-10-07 13:11:15 UTC
auf irgendwas vertrauen haben...
Kilimanjaro
2006-10-07 13:07:03 UTC
die Motivation für weiter zu Leben?!



Ich glaube daran, dass das Leben ein Zweck hat und deswegen versuche ich er zu folgen...



die Motivation für etwas zu tun?!
2006-10-09 07:41:14 UTC
glaube ist da, wo unser wissen an seine grenzen kommt und durch hypothesen ersetzt werden muss.
Leony
2006-10-07 14:53:28 UTC
Gehe zu einem Pfarrer. Er kann dir besser erklären. ich bin zu pragmatisch.
blueseach
2006-10-07 14:09:00 UTC
Glaube ist das, womit du dich vor Erkenntnis, Bewusstsein und Verstehen schützen kannst....



Wer glaubt, der weiss (noch) nicht...

und wer weiss, der glaubt nicht (mehr)...



;)
2006-10-07 13:26:27 UTC
glaube

ist das Wissen das man selbst erlebt, erlernt

oder erfahren hat

und dies so oft und so häufig

daß es zu einem festen Bestandteil von uns geworden ist.

Glauben ist eine Höhere Form von Wissen

die jedoch nicht umgedingt mit anderen geteilt wird



also sehr individuelles Wissen
Suzie Wong
2006-10-07 13:15:44 UTC
Glaube ist der innerste Wunsch und Entschluss einer bestimmten Idee zu folgen.
timeshare666
2006-10-07 13:12:21 UTC
glaube das ich das nicht wissen will,weil glauben kann man in der kirche
Wilken
2006-10-07 13:06:25 UTC
Glaube ? Was für den Mensch nicht rational fassbar ist. Glaube ist auch Vermutung, man meint, das ist was, kann es jedoch nicht belegen, beweisen, bestätigen.
fabrina
2006-10-07 13:04:18 UTC
Fürwahrhalten - statt es selbst erfahren zu haben.

Sonnenscheinchen spricht wohl eher von "Hoffnung".
2006-10-07 13:03:57 UTC
Glaube ist das was dir die Kraft gibt nicht auf zugeben... Ob was religiöses oder was menschliches oder was ganz anderes... Ganz egal...
2006-10-08 11:01:13 UTC
Frage: Was ist Glaube ? ( eher was bedeutet Glaube )

Antwort: Glaube bedeutet gutheissen, für lieb halten.

Bei diesem Ausdruck denkt mann meistens an Religion dies ist aber irreführend denn glauben tut jeder.

Ich z.b. glaube jetzt dass ich dies hier erklärt habe, oder auch nicht !
2006-10-08 10:42:07 UTC
Glaube ist gut, Wissen ist besser!
?
2006-10-08 07:00:55 UTC
Glauben ist nicht Wissen...oder wer wenig weis muss viel Glauben...Die Welt war bis Kopernikus laut Chr.Glaubenslehre eine Scheibe und der Mittelpunkt des Universums.

Heute weis man die Welt ist eine Kugel und nicht mal der Mittelpunkt unserer kleinen Galaxie.

Was wohl Menschen in 1000 Jahren zu unserem Glauben mit ihrem Wissen sagen werden??
2006-10-07 21:57:11 UTC
Ich nehme mal an, Du meinst den religiösen Glauben.

Im Prinzip ist das die innere Überzeugung, dass das ,was die jeweilige Lehre der Religion - der man angehört- besagt , wahr ist, ohne für alles greifbare Beweise zu haben. -



Viele basteln sich auch einen eigenen Glauben zusammen und glauben eben dann daran.-



(Siehe dazu auch meine Frage: Woran glaubt, wer nicht glaubt ?)
kaneferu
2006-10-07 19:51:13 UTC
Kommt drauf an welchen Glauben Du meinst.

Der religiöse Glaube ist die Überzeugung davon, selber zu dämlich zu sein sein Dasein zu onan.. äähhh ... organisieren zu können, und dafür ein übergeordnetes Wesen zu benötigen das mir schon alles richten wird.

Wissen ist der Glaube zu wissen, das der Glaube am Wissen hindert -- (wegen dem übergeordneten Wesen)

Also ist Glaube das Prinzip der Herrschaft -- teile und herrsche!

Säe Zwietracht im eigenen Gehirn und verlier Dich im Firlefanz der möglichen Antworten.

Da noch durchzublicken und Herr der Lage zu sein ist auch ein Glaube!
alf007orginal
2006-10-07 13:09:23 UTC
Glaube heißt:

NICHTS WISSEN SONDERN NUR GLAUBEN!
2006-10-07 13:03:28 UTC
Ich glaube nur an das was ich auf meinem Konto habe ....


Dieser Inhalt wurde ursprünglich auf Y! Answers veröffentlicht, einer Q&A-Website, die 2021 eingestellt wurde.
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