Musikalische Verarbeitung und der auditorische Kortex
Strukturelle, funktionelle und perzeptive Unterschiede im Hörkortex von Musikern und Nichtmusikern
Die musikalische Tonhöhe von harmonisch komplexen Tönen unterscheidet sich um bis zu drei oder vier Oktaven, wenn derselbe Ton unterschiedlichen Hörern vorgespielt wird. Manche Hörer erkennen eher den Grundton eines Klanges (die Periodizitätstonhöhe), andere eher einzelne Obertöne. Um diese bereits von Hermann von Helmholtz beschriebenen subjektiven Unterschiede zu quantifizieren, haben wir einen ausführlichen Tonhöhentest mit 162 verschiedenen Tonpaaren aus harmonisch komplexen Tönen entworfen (Schneider et al., 2005). Der Test wurde mit 306 Profimusikern, 66 Amateurmusikern und 48 Nichtmusikern durchgeführt und zeigte eine breite Verteilung, die es erlaubte, die Hörer in zwei Gruppen, die "Grundtonhörer" und die "Obertonhörer" einzuteilen.
Bei 87 Probanden wurde zusätzlich mittels Kernspintomographie (MRT) das Gehirn anatomisch aufgenommen und mit Magnetoencephalographie (MEG) die Gehirnströme beim Hören von Klängen gemessen. Grundtonhörer zeigten im seitlichen Bereich des linken Heschl Gyrus ein deutlich größeres Volumen an grauer Substanz und auch eine größere P50 Aktivierung als im rechten Heschl Gyrus. Bei Obertonhörern war hingegen der rechte Heschl Gyrus stärker ausgeprägt.
Während die mit der Tonhöhenwahrnehmung verbundene Links-Rechts-Asymmetrie sowohl bei Profis und Nichtmusikern in gleicher Weise auftrat, war die absolute Größe der neuronalen Substanz stark von der musikalischen Veranlagung abhängig. Profimusiker zeigten einen doppelt so grossen Heschl Gyrus wie Nichtmusiker. Die im seitlichen Bereich des Heschl gyrus generierte P50 Aktivierung war sogar um das Fünffache stärker ausgeprägt. Das Volumen der grauen Substanz korrelierte nur mit der musikalischen Begabung, gemessen mit dem AMMA-Test von Edwin E. Gordon, die P50 Aktivierung hingegen ausschliesslich mit dem musikalischen Langzeit-Training.
Ferner wurde ein Einfluss auf die Präferenz bestimmter Musikinstrumente festgestellt. Da der linke Hörkortex für rasche zeitliche Verarbeitung zuständig ist, bevorzugen Grundtonhörer Musikinstrumente, die kurze, scharfe oder impulsive Töne produzieren (Schlagzeug, Gitarre, Klavier oder hohe Soloinstrumente wie Trompete oder Querflöte). Der rechte Heschl Gyrus verarbeitet hingegen bevorzugt Spektralfrequenzen oder Klangfarben. Obertonhörer wählen konsequenterweise in der Regel eher Instrumente, die lang ausgehaltene Töne mit charakteristischen Klangfarben oder Formanten im Spektrum produzieren (Streich-, Blech oder Holzblasinstrumente in tieferen Lagen, Orgel oder Gesang). Musiker, die das gleiche Hauptinstrument spielen aber unterschiedlich hören, unterscheiden sich ferner oft in ihrer Spielweise: Grundtonhörer spielen lieber virtuos oder rhytmisch betont, Obertonhörer interessieren sich mehr für Klangfarben und länger ausgehaltene Melodiebögen.
Sowohl die Größe als auch die relative Gewichtung der Heschl Gyri hat einen Einfluss auf die Tonhöhenwahrnehmung, Klangvorstellung, Präferenz von Musikinstrumenten und auf die musikalische Gestaltung.